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Neuigkeiten 2015

Supraleitung in Jena verliert Wegbereiter

 
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Am 19. Oktober 2015 hat sich der Lebensweg von Prof. Albrecht vollendet. Mit ihm verliert die Jenaer Supraleiterelektronik ihren Nestor und die Physikalische Großforschung in Ostdeutschland einen ihrer frühen Vordenker und entschiedensten Förderer.
Albrechts Lebensweg war außergewöhnlich und am Beginn wohl auch der Umbruchszeit geschuldet, wie sie Deutschland nach dem Ende des letzten Weltkriegs durchlebt hat. Als Sohn eines Justizangestellten 1930 im thüringischen Greußen geboren und in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, beginnt er nach dem Krieg eine Lehre als Augenoptiker in Gotha. Nach Ende der Lehrausbildung geht er nach Jena, um dort an der Ingenieurschule für Augenoptik ein Studium zum Augenoptikermeister aufzunehmen. Hier wird man schnell auf das Talent des jungen Mannes aufmerksam und nach einer Sonderreifeprüfung wird er – ohne je ein Gymnasium besucht zu haben – an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) zum Physikstudium zugelassen, das er 1951 beginnt.
Seit 1957 arbeitete Günter Albrecht am Physikalischen Institut der Universität Jena unter der Leitung von Professor W. Schütz, wo er sich sein physikalisches Rüstzeug auf dem Gebiet der Röntgenphysik erwirbt. 1962 legt er seine Dissertation über die Anwendung der Röntgenstrukturanalyse zur Aufklärung chemischer Bindungen vor, fünf Jahre später folgt die Habilitationsschrift zur Elektronenstruktur von metallorganischen Komplexverbindungen und Übergangsmetall-Hydriden. 1969 wurde er an der FSU zum Ordinarius für Angewandte Physik berufen.
 
 
Im Zuge des Umbaus der Hochschulen in der DDR am Ende der 1960er Jahre bei dem u. a. das Institutssystem durch ein Departmentsystem nach amerikanischem Vorbild ersetzt wurde, erhielt Albrecht die Möglichkeit, eine Abteilung Detektorenphysik aufzubauen. Dies nutzte er, um Detektoren auf der Basis des 1962 entdeckten Josepsoneffektes in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit zu rücken. Für eine international kompetitive Forschung war es nötig, eine tragfähige technische und technologische Infrastruktur aufzubauen.
Unter oftmals schweren Bedingungen waren diese Aufbauarbeiten bis Mitte der 1970er im Wesentlichen abgeschlossen. Es standen Dünnschichttechnologien auf Niob-Blei-Basis, hochempfindliche Meßtechnik und ein Heliumverflüssiger zur Verfügung. Die wichtigsten Arbeitsfelder der neuen Abteilung Detektorenphysik nach 1975 waren: SQUID-Magnetometrie, Josephson-Spannungsnormal und supraleitende Kantenbolometer.
Die Anstrengungen der Anfangsjahre haben vielfach reiche Früchte getragen. Aus einem Zyklus von Arbeiten zu Josephson-Tunnelkontakten, Dünnschicht-SQUID und den zur Herstellung nötigen Beschichtungs- und Mikrostrukturierungstechnologien, die in den Jahren zwischen 1969 und 1979 erschienen sind, ragt gewissermaßen als Solitär die 1979 erschienene Arbeit zum weltweit ersten vollintegrierten Dünnschicht-SQUID A Monolithic Thin Film DC-SQUID, heraus, die er gemeinsam mit W. Richter, K. Blüthner und H.-J. Köhler publiziert hat. Mit der Perfektionierung der Fabrikationsprozesse beginnt Albrecht etwa Mitte der 1970er Jahre, verstärkt nach Anwendungen für kryoelektronische Bauelemente zu suchen. Eine frühe Blüte dieser Aktivität ist 1978 das erste Magnetogramm in Jena, das zum Ausgangspunkt für die auch heute noch intensiv betriebene und weltweit hochgeschätzte Biomagnetikforschung in Jena wurde. Die Anregung zu dieser interdisziplinären Grundlagenforschung geht maßgeblich auf Albrecht zurück. Die von ihm begründete SQUID-Forschung hat sich mittlerweile in Jena zu einem Forschungsfeld entwickelt, das internationale Maßstäbe setzt. Erinnert sei nur an die SQUID-basierte hochpräzise Vermessung des Erdmagnetfeldes, die am Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT) entwickelt wurde. Als weltweit nachgefragte Technologie für die geophysikalische Exploration von Rohstoffen werden derartige Meßsysteme von der Jenaer Firma Supracon vertrieben und sind auf allen Kontinenten im Einsatz. Auch die Forschungsarbeiten zum Spannungsnormal reihen sich hier ein: schon im Jahre 1984 geht das in Jena entwickelte kryogene Spannungsnormal als eines der weltweit ersten am Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung, dem Staatsinstitut der DDR, in Betrieb und heute ist Supracon eine von weltweit zwei Stellen, die – wie man heutzutage sagt – Quanten-Spannungsnormale als kommerzielles Produkt vertreibt. Die frühen Arbeiten zu Kantenbolometern haben erst kürzlich eine grandiose Renaissance erfahren: sie werden in beträchtlichem Umfang als Sensoren in supersensitiven astronomischen Geräten eingesetzt, aber auch die am IPHT entwickelte, einzigartige Technologie zur Terahertz-Bildgebung nutzt große Arrays dieses Sensortyps.
 
 
Albrecht war immer brennend an Anwendungen interessiert. Sein Leitmotiv, dem er sein ganzes Forscherleben treu geblieben ist, war es, den ganzen Weg zu gehen: von einer intensiven Grundlagenforschung bis hin zur industriellen Anwendung und Verwertung. Das hat ihm oft die Kritik von Befürwortern der „reinen Wissenschaft“ eingebracht. Ich habe des Öfteren erlebt, wie er auf solche Einwendungen zu erwiderte pflegte, daß die Angewandte Physik (was ja sein Lehrstuhl war!) auch eine ehrenwerte Wissenschaft sei.
Seine frühen Arbeiten zur Technologie supraleitender Bauelemente wurden bereits im Jahre 1974 mit dem Nationalpreis III. Klasse für Wissenschaft und Technik gewürdigt, den er gemeinsam mit F. Klapper, H.-J. Köhler, J. Müller und W. Richter für die Erforschung supraleitender Schichtprozesse, ihre Mikrostrukturierung und deren Anwendung in der Meßtechnik erhielt.
Während der Aufbauphase der Detektorenphysik ist Albrecht parallel von 1968 bis 1971 als stellvertretender Direktor für Forschung und von 1971 bis 1974 als Direktor der Sektion Physik der Friedrich-Schiller-Universität tätig gewesen.

Es verwundert nicht, daß diese außergewöhnlichen Leistungen nicht unbemerkt bleiben. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre bemüht sich die Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) verstärkt, hier namentlich die Professoren W. Scheeler und R. Rompe, Günter Albrecht für die Akademie zu gewinnen. Mit ihren mehr als 50 Instituten und etwa 25.000 Mitarbeitern war die AdW ein Schwergewicht der Großforschung in der DDR. Im Jahr 1978 wird Albrecht zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR gewählt, 1979 verläßt Günter Albrecht „schweren Herzens“, wie er gelegentlich gerne einräumte, Jena und wird als Nachfolger von Prof. K. Fuchs zum Leiter des neu eingerichteten Forschungsbereichs Physik, Kern- und Werkstoffwissenschaften der Akademie der Wissenschaften in Berlin berufen. Dieser beachtliche Karrieresprung bringt Albrecht ins Zentrum der ostdeutschen Physikalischen Großforschung, die er in den folgenden 20 Jahren maßgeblich mitgestaltet. Nachdem die Kernforschung und Kerntechnik in den 1970er Jahren ihre privilegierte Stellung verlieren, geht es um eine Neugestaltung der Forschungslandschaft, um die Identifizierung von Zukunftstechnologien und um den Aufbau der dafür benötigten leistungsfähigen Forschungskapazitäten und -infrastrukturen unter den in der DDR gegebenen, schwierigen ökonomischen Rahmenbedingungen. Das ist für den stets interdisziplinär und applikativ denkenden Mann genau die richtige Aufgabe. Albrecht wird mit der Koordinierung komplexer Forschungsaufgaben in den Bereichen Mikroelektronik, Lichtleiter-Nachrichtenüber-tragung, Laser-Technologien und Hochtemperatursupraleitung beauftragt. Dies schließt ausdrücklich auch die institutsübergreifende Organisation der Grundlagenforschung und den dazugehörigen Gerätebau ein.
 
 
Bereits 1980 wird er in den Forschungsrat der DDR berufen und schließlich 1988 zum Vorsitzenden der Gruppe Physik des Forschungsrates.
Eine Ehrung besonderer Art wird ihm 1986 zuteil: Die Technische Universität Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) verleiht ihm die Ehrendoktorwürde.
Im Jahr 1981 wird er Ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften, 1988 erfolgt die Berufung zum Vizepräsidenten der AdW für Forschungstechnik und Technologie; gleichzeitig wirkt er als Sekretär für die Klasse Technische Wissenschaften der Gelehrtengesellschaft. Diese Ämter bekleidet er bis zur Auflösung der Akademie der Wissenschaften im Jahr 1991. Später wirkt er an der Gründung der Leibniz-Sozietät e.V. mit, die als reine Gelehrtengesellschaft 1993 gegründet wird und sich in der Tradition ihrer Vorgänger sieht.

Seit 1993 im Ruhestand, war er für öffentliche Einrichtungen und private Unternehmen als Berater in wissenschaftlichen Fragestellungen tätig, beispielsweise bei der Bewertung technischer Risiken oder zu Fragen des Einsatzes isotopenreiner Materialien in der Mikroelektronik.

Die Jenaer Physik verdankt Albrecht nicht nur die Einführung der Supraleiterelektronik als einem schon über viele Jahrzehnte fruchtbaren Forschungsfeld. In seiner Berliner Zeit hat Albrecht aus den drei kleinen Jenaer Akademieinstituten, die teilweise nur Dependancen Dresdener bzw. Berliner Institute waren, ein eigenständiges, schlagkräftiges neues Institut geformt, das 1982 unter dem Namen Physikalisch-Technisches Institut (PTI) gegründet wurde. Günter Albrecht selbst wirkte hier von 1982 bis 1984 als Gründungsdirektor. Diese Bündelung von Kräften und Kompetenzen in Jena war sicher einer der Gründe, daß Anfang der 1990er Jahre das Institut vom Wissenschaftsrat sehr positiv bewertet wurde und heute als Leibniz-Institut für Photonische Technologien fortbesteht und weltweit hohe Reputation genießt.
Noch in seiner Jenaer Zeit, gewissermaßen als Schlußfolgerung aus seinen Arbeiten zur Dünnschichttechnologie supraleitender Bauelemente, hat sich Albrecht mit Fragen einer konsequenten Technologie für Bauelemente mit Strukturbreiten bis in den Submikrometerbereich befaßt. Daraus entstanden erste Überlegungen für einen Reinraum zur qualifizierten Herstellung optischer und supraleitender Dünnschicht-Bauelemente in Jena. Mit seiner Hilfe konnte ein solches Schichttechnikum, das PTI und FSU gemeinsam betreiben, 1982 am Beutenberg seine Arbeit aufnehmen. Das Technikum bestand aus zwei Gebäuden, einem Bürotrakt, das heutige Institut für Angewandte Physik (IAP) der FSU und einem Techniktrakt, das heutige Lasertechnikgebäudes des IPHT, in dem sich u.a. der erste Reinraum am Campus Beutenberg befand. Albrecht ist damit auch einer der Wegbereiter für die so erfolgreiche Entwicklung von optischen Dünnschichtbauelementen, wie sie über Jahrzehnte durch das IAP betrieben wird.
 
 
Übrigens verdankt die Leibniz-Gemeinschaft Günter Albrecht noch die Gründung eines weiteren hochangesehenen Instituts: das Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik (IHP), das frühere Institut für Halbleiterphysik, das unter seiner Federführung entstand und 1983 in Frankfurt/Oder eröffnet wurde. Vergleicht man die Philosophie beider Institute, so kann man noch heute den Albrechtschen Geist spüren. Beide Institute fühlen sich in hohem Maße nicht nur einer exzellenten
Grundlagenforschung, sondern in gleichem Maße auch den Anwendungen und der industriellen Verwertung verpflichtet.
Besonders zu erwähnen ist noch sein Verdienst bei der Weiterentwicklung des Zentrums für Wissenschaftlichen Gerätebau der Akademie der Wissenschaften der DDR (ZWG) in Berlin-Adlershof, die er über viele Jahre gemeinsam mit Prof. N. Langhoff betrieben hat. Aufgabe des ZWG war es, möglichst schnell Forschungsergebnisse in unikale Gerätelösungen zu überführen und Kleinserien zu produzieren, um sie dann der Forschung oder anderen Anwendern wieder zur Verfügung zu stellen. An diesem Beispiel wird nicht nur erneut Albrechts Interesse an einer schnellen Verwertung wissenschaftlicher Resultate sichtbar, er schließt damit auch die im industriellen Gerätebau der DDR bestehende Lücke am oberen, innovativen Ende der physikalischen Meßtechnik. Das heutige Institute for Scientific Instruments GmbH (IfG) ist aus dem ZWG hervorgegangen.

Ich möchte mit einem Wort aus seiner Dankesrede, die er anläßlich des Ehrenkolloquiums zu seinem 75. Geburtstag gehalten hat, schließen: „ . . . wir [hatten] damals [in den Jenaer Jahren] intuitiv Thesen verfolgt, die lange vor uns schon Leibniz bei der Begründung einer Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften formuliert hatte: Nämlich möglichst viel zum Nutzen von Land und Leuten zu tun, also theoria cum praxi zu verbinden.

Günter Albrecht hat eine beeindruckende Lebensleistung vollbracht. Er war uns stets ein Vorbild. Achten und ehren wir ihn, indem wir seine Wege weitergehen.

Jena, den 24.10.2015

Hans-Georg Meyer
 
 
 
 
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